Erfolgreiche Sales-Persönlichkeit – aktuelle empirische Befunde

Prof. Dr. Christof Obermann, Levi Kuhlmann, Maurice Valbert

Psychometrische Tests und Fragebögen sind bei der Vorauswahl nützlich, um ohne relevanten Zeitaufwand Grundvoraussetzungen für den Ziel Job zu erkennen. Dazu zählen im Vertrieb beispielsweise Eigenschaften wie Gewissenhaftigkeit, soziale Verträglichkeit und Extraversion (ein Teil der „Big-Five“-Eigenschaften). Dabei wird jedoch oft unterstellt, „viel hilft viel“, also dass ein Mehr in den Eigenschaften zu einer immer besseren Passung führt. Das ist fraglich. Genauso fraglich, ob sich die für Führungspositionen ganz gut etablierten Big-Five-Eigenschaften so einfach auf Vertriebspositionen übertragen lassen. Wir haben die empirische Evidenz für Erfolgsfaktoren der Persönlichkeit speziell im Vertrieb zusammengestellt.

Fachwissen und Gewissenhaftigkeit machen den ersten Unterschied

Zunächst zur empirischen Evidenz von Eigenschaften, die sich auch im Vertrieb als Erfolgstreiber erwiesen haben, das sind nämlich nicht Kontaktfreude, Extraversion & Co. – kognitive Fähigkeiten und Fachwissen haben sich in einer Metaanalyse von Verbeke, Dietz & Verwaal (2010) als die stärksten Prädiktoren von Sales-Performance erwiesen: Wer sich in seinem Themengebiet gut auskennt und einigermaßen schlau ist, der ist erfolgreich im Vertrieb.

Im Bereich der Persönlichkeitseigenschaften hat sich hohe Gewissenhaftigkeit als wichtig erwiesen (Warr, Bartram & Marton, 2005): Zuverlässigkeit, Sorgfalt, Termintreue, Ausdauer und Ambition sind also weitere nachgewiesene Erfolgstreiber im Sales. Hier enden jedoch auch die Gemeinsamkeiten zwischen Erfolg im Allgemeinen und im Sales im speziellen und es lohnt sich, nochmal einen genaueren Blick auf die Persönlichkeitseigenschaften zu werfen.

Extraversion als Plus im Vertrieb

Hohe Gewissenhaftigkeit allein scheint nicht hinreichend zu sein für Vertriebspositionen. Hier gibt es keinen simplen linearen Zusammenhang zum Joberfolg. Stattdessen ist es wichtig, dass gleichzeitig auch hohe Extraversion und emotionale Stabilität vorhanden sind, da die Gewissenhaftigkeit sonst in Perfektionismus endet und somit die Performance schwächt (Wihler et al., 2017). Dadurch ergibt sich ein umgekehrt U-förmiger Zusammenhang von Sales Performance und Gewissenhaftigkeit, sollten Extraversion niedrig und Emotionalität hoch sein. Sind diese Ausprägungen jedoch umgekehrt – Extraversion hoch und Emotionalität niedrig – so ergibt sich ein beinahe linearer Zusammenhang. Wenn jemand also sehr gewissenhaft ist, so ist dies nur von Vorteil für den Vertriebserfolg, wenn die Person gleichzeitig auch extravertiert und resilient ist.

Des Weiteren ist Durchsetzungsvermögen, eine Facette von Extraversion, ein starker Prädiktor für Sales Performance, unabhängig von anderen Persönlichkeitseigenschaften (Klang, 2012). Eine Eigenschaft, die sich stattdessen im Vergleich zur generellen Jobperformance umgekehrt hat, ist Verträglichkeit (ausgleichend, kompromissbereit, keine kurze Zündschnur haben). Wo in anderen Jobs eine solche hohe Verträglichkeit gut ist, um mit den Kollegen und Vorgesetzten klarzukommen, ist umgekehrt im Vertrieb eine niedrige Verträglichkeit sogar förderlich für die Performance (Warr, Bartram & Marton, 2005). Dabei geht es nicht darum, unhöflich zu sein, sondern einen gesunden Egoismus zu besitzen, für seine Ziele und sich zu kämpfen. Zuviel Teamgeist und die Bereitschaft, sich zurückzunehmen, gehen offensichtlich nicht mit Vertriebserfolg einher.

Abbildung 1: Zusammenhang zwischen Vertriebserfolg und Gewissenhaftigkeit in Abhängigkeit von Extraversion und Emotionalität. Im hohen Maße ist Gewissenhaftigkeit nur förderlich, wenn gleichzeitig hohe Extraversion und niedrige Emotionalität gegeben ist.
Tabelle 1: Wissenschaftlich nachgewiesene Eigenschaften für Vertriebserfolg

* r>=,15 – schwacher Zusammenhang, r>=,30 – mittlerer Zusammenhang, r>=,50 – starker Zusammenhang

Neu erkannt – Affektive Präsenz als Treiber zum Vertriebserfolg

Psychologen und Vertriebspraktiker haben bisher möglicherweise aneinander vorbeigeredet: Während Psychologen mit Intelligenztests (kognitive Fähigkeiten) bei Vertriebspraktikern auf Widerstand gestoßen sind, so waren für Psychologen Konstrukte wie Auftreten, persönliche Wirkung, Ausstrahlung nicht greifbar. Letzteres hängt damit zusammen, dass diese Konstrukte sich nicht über traditionelle Selbsteinschätzungsfragebögen valide erfassen lassen (z. B. „ich habe ein großartiges Auftreten“ Ja / vielleicht / nein), ein Vorgehen, was sonst die Methode der Wahl bei Persönlichkeitsfragebögen ist.

Hier gibt es einen Fortschritt. Nach Jork (2021) sind es in erster Linie nicht nur Persönlichkeitseigenschaften, die Vertriebserfolg ausmachen, sondern eben gerade Verhalten im Sinne von Mimik, Gestik, Stimme.  

Das im ersten Kundenkontakt erkennbare Auftreten und die Ausstrahlung bestimmen, ob der potenzielle Kunde sich öffnet. Diese Fähigkeit bezeichnet man als affektive Präsenz – welche Stimmung vermittelt die Vertriebsperson und kann sie beim Gegenüber positive emotionale Schwingungen erzeugen.

Die Forschung deutet darauf hin, dass die affektive Präsenz dem Gewicht einer Persönlichkeitseigenschaft nahe kommt, da Personen mit hoher Präsenz so in unterschiedlichen Situationen und gegenüber unterschiedlichen Dritten so wirken (Eisenkraft und Elfenbein, 2010). In einer Längsschnittstudie über sieben Jahre erwies sich dies als stabiles Konstrukt (r =,46, Watson and Walker, 1996).

Affektive Präsenz – aber was ist das konkret?

Für affektive Präsenz gibt es eine Reihe verwandter Konstrukte wie Charisma, transformationale Führung oder persönliche Ausstrahlung. Diese Konstrukte werden oft über die Wirkung bei Anderen definiert, nämlich dass bei anderen Personen positive Gefühle oder die Kaufbereitschaft ausgelöst werden. Dies führt jedoch zu Zirkelschlüssen ohne Erkenntnisfortschritt: „Erfolgreiche Verkäufer haben affektive Präsenz … affektive Präsenz kann man durch Erfolg im Verkauf erkennen“. In Tabelle 2 wird stattdessen ohne diese Zirkelschlüsse die affektive Präsenz durch beobachtbare Verhaltensindikatoren messbar gemacht.

Dabei gibt es einige Herausforderungen – sonst wäre das ja bisher auch schon einfach messbar gewesen: Affektive Präsenz, Charisma etc. wird situativ variieren: Der russische Präsident Putin würde hierzulande wohl wenig punkten, in Russland jedoch wahrscheinlich überwiegend als sehr charismatisch empfunden werden. So ist die empfundene Ausstrahlung auch abhängig von Empfängereigenschaften.

Tabelle 2: Beobachtbare Aspekte von affektiver Präsenz

Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Vorhersage von Vertriebspotenzial

Einen Schritt weiter sind wir mittlerweile in der Erfassung von affektiver Präsenz als wesentliche Teilfacette von Vertriebserfolg. Dazu nutzten wir künstliche Intelligenz (KI) und verwenden ein neuronales Netzwerk, um affektive Präsenz vorherzusagen. Statt übliche Selbstbeschreibungen im Rahmen eines Persönlichkeitsfragebögen haben wir als Stimulusmaterial kurze Videosequenzen von Personen gedreht, um die in Tab. 2 zusammengestellten Verhaltensweisen mit Indikatorfunktion für affektive Präsenz zu messen.

Erste Erkenntnisse: Es gibt keine einfachen Korrelationen im Sinne „je mehr das Verhalten xyz desto höher affektive Präsenz“. Etwa bei den jeweiligen Redeanteilen, hier würde sowohl ein „zu wenig“ nicht zum Eindruck von charismatisch führen wie ein „zu viel“ im Sinne Vielredner. Andere Verhaltensindikatoren sind so etwas wie „Show-Stopper“, die die Ausprägung anderer Indikatoren komplett überstrahlen, z.B. zu geringer Blickkontakt zum Gegenüber oder nicht-authentisch empfundenes Verhalten. Ein Kandidat für sehr hohen Einfluss auf affektive Präsenz ist das Verhalten, eher kontrolliert / langsam zu sprechen, nach eigenen Statements den Blick zum Gegenüber zu suchen und dabei zu lächeln. Personen, die sich so verhalten, wird weit überdurchschnittlich hohe Präsenz zugesprochen.

Der nächste Schritt wird sein, diese Verhaltensindikatoren mindestens automatisch unterstützt zu erfassen. So lassen sich bereits die Basisemotionen nach Ekman in unserer Mimik automatisiert durch einem sogenannten Face Reader erfassen. Dazu kommen erste Versuche, die Persönlichkeitsdimensionen anhand einer Stimm- und Sprachanalyse mithilfe künstlicher Intelligenz zu ermitteln (Stulle, 2020). Hierbei zeigte sich, dass Sprachinhalte (z. B. optimistische Wortwahl) relevanter für die Vorhersage dieser Eigenschaften war als die Prosodie (sprachliche Artikulation). Bis zur Einsatzreife ist neben technischen Voraussetzungen auch der große (kommunikative) Aufwand bei der Implementierung zu überwinden („Sie wollen heimlich meine Stimme / Gestik auswerten?“). Bis dahin lässt sich der Fortschritt im Erkenntnisgewinn nutzen, dass nunmehr Potenzial für Erfolg im Sales besser vorhergesagt werden kann als bisher nur mit eingeschränkt validen Persönlichkeitsfragebögen.

Affektive Präsenz als Schlüssel zum Vertriebserfolg

Literatur

Boyatzis, R. E., Good, D., & Massa, R. (2012). Emotional, social, and cognitive intelligence and personality as predictors of sales leadership performance. Journal of Leadership & Organizational Studies, 19(2), 191-201.

Conte, J. M., & Gintoft, J. N. (2005). Polychronicity, big five personality dimensions, and sales performance. Human Performance, 18(4), 427-444.

de Hoogh, A. H. B., den Hartog, D. N., Koopman, P. L., Thierry, H., van den Berg, P. T., van der Weide, J. G., & Wilderom, C. P. M. (2004). Charismatic leadership, environmental dynamism, and performance. European Journal of Work and Organizational Psychology, 13(4), 447–471.

Eisenkraft, N., & Elfenbein, H. A. (2010). The way you make me feel: Evidence for individual differences in affective presence. Psychological Science, 21(4), 505–510.

Jiang, J., Gu, H., Dong, Y., & Tu, X. (2019). The better I feel, the better I can do: The role of leaders’ positive affective presence. International Journal of Hospitality Management, 78, 251-260.

Jork, M. (2021). Naked Sales. Books on Demand

Klang, A. (2012). The relationship between personality and job performance in sales: A replication of past research and an extension to a Swedish context (Master’s thesis, Stockholm University). Stockholms Universitet, Sweden.

 Miner, J. B. (1962). Personality and ability factors in sales performance. Journal of Applied Psychology, 46(1), 6.

 Stulle, K. P. (2020). Digitalisierung der Management-Diagnostik: Aktuelle Instrumente, Trends, Herausforderungen. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH.

Verbeke, W., Dietz, B., & Verwaal, E. (2011). Drivers of sales performance: a contemporary meta-analysis. Have salespeople become knowledge brokers?. Journal of the Academy of Marketing Science, 39(3), 407-428.

Warr, P., Bartram, D., & Martin, T. (2005). Personality and sales performance: Situational variation and interactions between traits. International Journal of Selection and Assessment, 13(1), 87-91.

Watson, D., & Walker, L. M. (1996). The long-term stability and predictive validity of trait measures of affect. Journal of Personality and Social Psychology, 70(3), 567–577.

Wihler, A., Meurs, J. A., Momm, T. D., John, J., & Blickle, G. (2017). Conscientiousness, extraversion, and field sales performance: Combining narrow personality, social skill, emotional stability, and nonlinearity. Personality and Individual Differences, 104, 291-296.

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