Artificial Intelligence: Automatische Mimik Analyse in der Personalauswahl
Neue Studien finden Zusammenhänge zwischen den mimisch gezeigten Emotionen von Probanden und ihren Persönlichkeitseigenschaften. Die Frage ist, welchen Mehrwert können Forschungsergebnisse zum Thema Artificial Intelligence zur Eignungsdiagnostik besteuern?
Geschäftsidee „Facewatch“
In den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts ärgerte sich in London der Besitzer der „Gordons Wine Bar“ über Zechpreller, die ohne Bezahlen seine Bar verließen. Er entwickelte die Idee, Gesichter von Personen mit einer Datenbank abzugleichen, bevor diese etwas bestellen können. Daraus entstand dann die Geschäftsidee und das Programm „Facewatch“. Dieses erkennt automatisiert Gesichter von unliebsamen Kunden oder Personen und kann somit beispielweis Diebstähle reduzieren.
Mit der Software EasyPass von unter anderem der Bundespolizei werden Grenzeintrittskontrollen beschleunigt, indem neben biometrischen Passdaten die Gesichter der Personen mit hinterlegten Bildern automatisch abgeglichen werden. Dabei sollen die Gesichter zu 94 % erkannt werden können. Mit solchen Programmen kann automatisiert in etwa das Lebensalter, das Geschlecht, die Frage, ob Brillenträger*in ja/nein, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eingeschätzt werden. Bei diesen Programmen werden individuelle, statische Parameter der Gesichter ausgewertet, z. B. der Abstand zwischen Nase und Augen.
Automatisches Assessment von Mimik
Einen Schritt weiter in Richtung Artificial Intelligence gehen Programme, welche dynamische Elemente der Mimik auswerten. So bieten Firmen wie Affectiva oder Emotient aus den USA an, Gefühlsausdrücke zu erkennen.
Die konzeptionelle Basis der Gesichts- bzw. Emotionserkennung ist mittlerweile ziemlich alt. In den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts hat Ekman (2003) im Streit darüber, ob Emotionen erlernt oder vererbt sind, herausgefunden, dass sich in der Mimik kulturübergreifend sieben Basisemotionen unterschieden lassen: Freude, Wut, Überraschung, Ekel, Angst, Verachtung und Trauer. Er hat 46 mimische Ausdrücke (sogenannte Facial Action Units) beschrieben, die eine physiologisch orientierte Klassifikation der emotionalen Gesichtsausdrücke als Grundlage für die Basisemotionen sind. Zum Beispiel „Action Unit Nr. 9 Rümpfen der Nasenflügel“ wie beim verächtlichen Blick oder „Nr. 27 Vorschieben des Unterkiefers“. Die physiologische Grundlage für diese Klassifikation der Gesichtsausdrücke sind die Bewegungen von 43 Gesichtsmuskeln. Der größte Muskel ist etwa der große Jochbeinmuskel, mit dem wir lächeln.
Facereader messen die Relationen von Bildpunkten im Gesicht
Auf der Basis dieser jahrzehntelangen Arbeit liegen kommerzielle Auswertungsprogramme vor (z. B. Facereader der Firma Noldus). Diese erfassen Veränderungen in den relativen Bildpunkten im Gesicht durch die Bewegung der Gesichtsmuskeln und zeigen so in Echtzeit die Ausprägung der Basisemotionen nach Ekman an. Dabei sind 70 % der mimischen Ausdrücke von Personen ohne Beteiligung von Emotionen und werden als „neutral“ ausgewiesen.
Erste Forschungsergebnisse zu Artificial intelligence in der Eignungsdiagnostik
Für die Zielsetzungen der Eignungsdiagnostik ist jedoch die Erfassung von spontanen, jederzeit veränderbaren, emotionalen Ausdrücken weniger interessant. Relevanter sind „Traits“, also Hinweise auf zeitlich stabile Persönlichkeitsdispositionen, zu denen dann ein Zusammenhang zu Joberfolgskriterien herzustellen ist.
Auch zu diesem Schritt der Übertragung der Gesichtserkennungssoftware in die Eignungsdiagnostik gibt es erste Studien. In einer Bachelorarbeit an der Rheinischen Fachhochschule wurden bei N = 82 Personen kurze, ein- bis dreiminütige Sprech- und Leseaufgaben durchgeführt und dazu Aufnahmen ihrer mimischen Verhaltensweisen ausgewertet. Gleichzeitig haben diese einen NeoFFI zu ihren „Big Five“-Persönlichkeitsmerkmalen durchgeführt. Dabei ergab sich eine signifikante negative Korrelation von r = -.19 zwischen dem Aufkommen der Emotion Ekel und Extraversion („Je weniger Personen Ekel ausdrücken, desto mehr gehen sie auf andere zu“) sowie eine signifikante negative Korrelation zwischen dem Aufkommen der Emotion Angst und dem Persönlichkeitsmerkmal Offenheit für Neues von r = -.18 („Wer nicht ängstlich ist, der geht offener auf die Welt zu“).